Dienstag, 12. Juni 2012

Es wird alles ein bissel viel


Ohje. Rupp Rechta war ganz flau im Magen. Das war alles ein wenig viel für ihre Nerven. Von Langerweile konnte wohl nicht mehr die Rede sein! Schreibblockade! Ha! Sie hatte Stoff, der gut drei Jahre reichen würde! Doch vorher musste sie den Eingang für zurück finden. Ein lautes Knurren ließ sie zusammenfahren. Ihr Magen! Sie hatte Hunger und sie hatte nicht einen DDR-Pfennig! Betteln ging hier nicht, da würde gleich die VoPo* anrücken und sie einlochen. Billig war ja hier alles, erinnerte sie sich, doch auch billig wollte bezahlt sein! Sollte sie diesen Alfons Zitterbacke Hühnerkacke um seinen Altstoffwagen anbetteln und vielleicht auf ihre alten Tage noch Altstoffe sammeln? Man würde sie mit merkwürdigen Blicken bedenken. Altstoffe sammeln das war Pioniersache. Herrje! Sie öffnete vor lauter Verzweiflung ihre Handtasche. Da lag ihr Portemonnaie. Man ja! Ohmannomann! Wie konnte sie das nur vergessen? In der DDR konnte man doch locker mit Devisen bezahlen. Englische Pfund- das waren doch Devisen!

Schnell eilte sie in den nächstliegenden Konsum. Ah, da lag noch alles an seinem angestammten Platz, bzw. war leer gekauft. Hier die Wochenendbrote schön eingetütet in blaukarierte und rotkarierte Plastetüten. Dort die Tafelbutter für 2,40 Mark und daneben die Markenbutter für ganze 2,50 Mark. Die hatte noch Qualität, die Butter! Sie kaufte sich zwei Flaschen Neura, ein Stück Butter und ein Wochenendbrot mit Kümmel und Möhre. Dazu ein Stück Limburger Käse. Oh, sie würde herrlich stinken! Was Süßes käme ihr jetzt auch gerade recht! Für ihre Nerven, die schon völlig blank am Boden lagen. Hach die Schlagersüßtafel, da lag sie ja. Schnell angelte sie sich eine aus einem der Regale und noch ein Einkaufsnetz. An der Kasse verenglischte sie ihr Deutsch und fragte, ob sie auch „in Pounds, in echten inglischen Paunds“ bezahlen könne. Da gerade die Mittagszeit vorüber war und die Werktätigen noch in den Betrieben arbeiteten, war der Konsum ziemlich leer. Die Kassiererin blickte sich verstohlen um und flüsterte dann ein leises: „Ja, aber beeilen Sie sich bitte!“ Rupp Rechta bezahlte rasch. Die Verkäuferin ließ die Pfundnoten noch rascher in ihrer DKS*2) -Tasche verschwinden und beglich den fehlenden Betrag in der Kasse aus ihrem Portemonnaie mit der guten alten Alu-DDR-Mark. Jetzt begann der weitaus schwierigere Teil ihrer Aktion. Sie musste eine Parkbank finden, um endlich einmal sitzen zu können und ein Messer wäre auch nicht schlecht, dachte sie so bei sich. Doch Besteck kaufen würde sich als weitaus schwieriger erweisen. Mangelware, erinnerte sich Rupp Rechta. Als sie endlich eine Parkbank gefunden hatte, setzte sie sich erleichtert.

Doch ihre Erleichterung hielt nicht lange an, da setzte sich schon eine geschwätzige alte Dame zu ihr. Was die alles wissen wollte? Doch als sie mitbekam, dass Rupp Rechta eine englische Lädie aus Old England war, da rührten sich ihre Brandenburger Seele und die heimliche Hoffnung auf eine wenig Devisen gleichermaßen in ihr und sie lud sie kurzerhand zu sich auf einen Kaffee ein. Rondo-Kaffee und Erdbeertorte mit frischen Erdbeeren aus dem eigenen Garten. Rupp Rechta war es recht, wenn es nur bequem wäre und sie ein wenig zur Ruhe kam. Ob hier auch Zimmer vermietet würden, fragte sie noch und als die alte Dame dies bejahte und auf ihr Gartenhäuschen verwies, da atmete Rupp Rechta das erste Mal an diesem bewegenden Tage auf. Sie würde sich in Ruhe zurück ziehen und nachdenken können. Wie weit es wohl bis Berlin wäre mit der Bahn? Im Gartenhäuschen hing zum Glück eine alte DDR-Landkarte mit Bahnstrecken drauf. Rupp Rechta vermaß - knappe 50 km. Sie würde bei der Dame ihre letzen englischen Pfund, die sie bei sich trug in DDR-Mark umtauschen und sich dann ein Ticket nach Berlin, Ost!- Berlin, in die Hauptstadt der DDR kaufen. Dass man hier eine der legendären Streckenstilllegungen, wie sie in Deutschland zuhauf vorkamen,  zwischen Luckenwalde und Berlin vorgenommen haben würde, war zum Glück auszuschließen. Die gute alte DDR. Auf sowas war Verlass!  Erleichterung machte sich in ihr breit. Das Gespräch war ganz nett verlaufen und die Erdbeertorte war wirklich köstlich gewesen. Der Kaffee, naja?!
Rupp Rechta musste wohl im Sessel eingenickt sein, denn als sie wieder die Augen aufschlug, war es bereits dunkel draußen. Sie suchte den Lichtschalter und knipste ihn an. Sie musste unbedingt in Ruhe nachdenken. Wenn sie den Eingang (oder Ausgang) für zurück gefunden hatte, welchen Nutzen hatte sie davon, dass sie wusste, dass man Orte verlassen konnte, dass es Orte gab, an denen ihre Romanfiguren ein- und aussteigen konnten und einfach so in ihr reales Leben spazierten? War das hier überhaupt die DDR oder nur das, was in der Fantasie von Gerhardt-Holtz-Baumert samt seinem Alfons Zitterbacke – Hühnerkacke, dessen Lieblingsspeise Wackelpudding war, in einer virtuellen Welt zurück geblieben war? Und wie um alles in der Welt konnte sie damals – 1989, kurz vor der Wende überhaupt von einer realen Welt in die andere eingetaucht sein? Sie hatten damals den Eingang (oder Ausgang) aus der DDR nach Great Britain, Stonehenge gefunden, benutzt und das erfolgreich! War die DDR, in der sie einige Jahre ihres Lebens verbracht hatte etwa nur ein Fantasiegebilde gewesen, überhaupt nicht real existierend im real existierenden Sozialismus? Rupp Rechta wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Ob es überhaupt etwas zu denken gab. Es klopfte an der Tür. Die ältere Dame , die sich als eine Frau Katzenklo vorgestellt hatte (das musste man sich mal vorstellen! Frau  Katzenklo- unglaublich! Aber Rupp Rechta erschütterte derartiges schon lange nicht mehr), lugte jetzt durch den geöffneten Türspalt zu ihr herein: „Da ist eine Lady, die will sie unbedingt sprechen. Darf ich sie rein lassen, Misses Rupp Rechta?“
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VoPo* = Volkspolizei
DKS*2) = DederonKittelSchürze

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  • Virusinfektion
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